Der blinde König
Was steht der nord’schen Fechter Schar
Hoch auf des Meeres Bord?
Was will in seinem grauen Haar
Der blind König dort?
Er ruft, in bitterm Harme
Auf seinen Stab gelehnt,
Daß über’m Meeresarme
Das Eiland widertönt.
„Gib, Räuber, aus dem Felsverließ
Die Tochter mir zurück!
Ihr Harfenspiel, ihr Lied so süß,
War meines Alters Glück.
Vom Tanz auf grünem Strande
Hast du sie weggeraubt,
Dir ist es ewig Schande,
Mir beugt’s das graue Haupt.“
Da tritt aus seiner Kluft hervor
Der Räuber, groß und wild,
Er schwingt sein Hünenschwert empor
Und schlägt an seinen Schild:
„Du hast ja viele Wächter,
Warum denn litten’s die?
Dir dient so mancher Fechter,
Und keiner kämpft um sie?“
Noch stehn die Fechter alle stumm,
Tritt keiner aus den Reih’n;
Der blind König kehrt sich um:
„Bin ich denn ganz allein?“
Da faßt des Vaters Rechte
Sein junger Sohn so warm:
„Vergönn‘ mir’s, daß ich fechte!
Wohl fühl‘ ich Kraft im Arm.“
„O Sohn! der Feind ist riesenstark,
Ihm hielt noch keiner stand.
Und doch! in dir ist edles Mark,
Ich fühl’s am Druck der Hand.
Nimm hier die alte Klinge!
Sie ist der Skalden Preis,
Und fällst du, so verschlinge
Die Flut mich armen Greis!“
Und horch! es schäumet und es rauscht
Der Rachen über’s Meer.
Der blinde König steht und lauscht,
Und alles schweigt umher;
Bis drüben sich erhoben
Der Schild‘ und Schwerter Schall
Und Kampfgeschrei und Toben
Und dumpfer Widerhall.
Da ruft der Greis so freudig bang:
„Sagt an, was ihr erschaut!
Mein Schwert, ich kenn’s am guten Klang,
Es gab so scharfen Laut.“
„Der Räuber ist gefallen,
Er hat den blut’gen Lohn.
Heil dir, du Held vor allen,
Du starker Königssohn!“
Und wieder wird es still umher,
Der König steht und lauscht:
„Was hör‘ ich kommen über’s Meer?
Es rudert und es rauscht.“
„Sie kommen angefahren,
Dein Sohn mit Schwert und Schild,
In sonnenhellen Haaren
Dein Töchterlein Gunhild.“
„Willkommen!“ ruft vom hohen Stein
Der blinde Greis hinab,
„Nun wird mein Alter wonnig sein
Und ehrenvoll mein Grab.
Du legst mir, Sohn, zur Seite
Das Schwert von gutem Klang,
Gunhilde, du Befreite,
Singst mir den Grabgesang.“
Autor: Ludwig Uhland
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