Liebesgedichte

Emanuel Geibel – Wie es geht

Sie redet ihr zu: „Er liebt dich nicht,
Er spielt mit dir!“ da senkt sie das Haupt
Und Tränen perlten ihr vom Angesicht,
Wie Tau von Rosen. Weh! daß sie’s geglaubt,
Denn als er kam und zweifelnd fand die Braut,
Ward er voll Trotz, nicht trübe wollt‘ er scheinen;
Er sang und spielte, trank und lachte laut –
Um dann die Nacht hindurch zu weinen.

Wohl pocht ein guter Engel an ihr Herz
– Er ist doch treu, gib ihm die Hand, o gib! –
Wohl fühlt auch er durch Bitterkeit und Schmerz
„Sie liebt dich doch, sie ist ja doch dein Lieb,“
Ein freundlich Wort nur sprich, ein Wort vernimm,
So ist der Zauber, der euch trennt, gebrochen!
Sie gingen, sah’n sich – o, der Stolz ist schlimm –
Das eine Wort blieb ungesprochen.

So schieden sie! und wie im Münsterchor
Verglimmt der Altarlampe roter Glanz,
Erst wird er matt – dann flackert er empor
Noch einmal hell, – und dann verlischt er ganz,
So starb die Lieb‘ in ihnen, erst beweint,
Dann heiß zurückersehnt und dann vergessen.
Bis sie zuletzt, es sei ein Wahn gemeint,
Daß sie sich je dereinst besessen.

Nur manchmal fuhren sie im Mondenlicht
Vom Kissen auf, von Tränen war es naß,
Und naß von Tränen war auch ihr Gesicht,
Geträumet hatten sie – ich weiß nicht was,
Dann dachten sie der alten schönen Zeit
Und an ihr nichtig Zweifeln, an ihr Scheiden,
Und wie sie nun so weit, so ewig weit!
O, Gott vergib! – vergib den beiden!

von Emanuel Geibel


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