Liebesgedichte

Anna Ritter – Ich träumte heut …

Ich träumte heut …

Ich träumte heut‘:
Des Todes steinern Tor
Gab dich heraus! Auf der verfehmten Schwelle
Empfing ich dich, und um uns beide floß
Ein letztes Mal die goldne Sonnenhelle.
Und wie der Strom im Lenz sie Sehnen strafft,
Von Sklavenketten, die er lang getragen,
Sich zu befrein, so schwoll die Leidenschaft
In mir empor; und tausend stumme Klagen
Und all die Not der langen Einsamkeit
Gab ich dir hin, in seligem Verlangen,
Der Liebe Trost dagegen zu empfangen. –
Ich wartete …Gewiß, ich drängte nicht!
An deinem Herzen barg ich mein Gesicht,
Und alle Angst war von mir fortgenommen:
Das Süße, Heilige – nun sollt‘ es kommen! –
Ich wartete …

Gespenstisch wuchs die Zeit!
Zu Ewigkeiten dehnte die Sekunde
Sich tückisch hin, doch deinem blassen Munde
Entsank kein Wort; verschossen blieb dein Ohr!

Und wie in einer Erdennacht voll Leiden
Die Sterne unbewegt am Himmel stehn
In kalter Pracht, so sah ich deine beiden
Geliebten Augen in mein Elend sehn.

Da wußt‘ ichs wieder, daß ich dich verlor,
Und daß der Mund, der mich so oft geküßt
In sel’gen Nächten – k a l t geworden ist!

von Anna Ritter


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